Die Altstadt von Rhodos, die Johanniter, die Italiener und die deutsche Wehrmacht
“Die griechische Insel Rhodos steckt voller Wunder!”, verrät die junge kesse Reiseleiterin Nicole im bauchfreien T-Shirt den betagten Kreuzfahrtteilnehmern überwiegend mit Bäuchen. Sie flirtet lachend mit den aufmerksamen Rentnern. Eigentlich heiße sie Nicoletta und liebe die Altstadt, wo sie auch wohne, wo genau, verrät sie augenzwinkernd nicht. Die kurzbehosten Kreuzfahrer hängen an ihren Lippen, während sie in braunen Schlappen mit beigefarbenen Socken über den Kieselmosaikböden ("Hochlakia" : feiner weißer und schwarzer Kieselsteinboden mit verschiedenen Mustern) der Altstadt humpeln und stolpern. Vom Großmeisterpalast schaffen sie den Weg durch die Ritterstraße bis zur vollständigen Stadtmauer entlang an gut erhaltenen mittelalterlichen Gebäuden und eindrucksvollen Bögen bis zum Hafen vortrefflich - immer die Augen auf Nicoletta geheftet.
Die Altstadt ist von der etwa vier Kilometer langen und bis zu 12 Meter dicken Stadtmauer und dem etwa 2.500 Meter langen bis zu 21 Meter breiten Wallgraben umschlossen. Die Kreuzritter erweiterten und verstärkten ab dem Ende des 15. Jahrhunderts die ursprünglichen Mauern aus byzantinischer Zeit mehrmals.
Nachdem sich Nicoletta mit reichlich Trinkgeld verabschiedet hat, schwärmen die Reisenden nun aus in die Restaurants der Altstadt, in der überteuerte Getränke und fragwürdige Mitbringsel auf sie warten.
Benannt ist die Ritterstraße nach den Ordensrittern der Johanniter. In den Herbergen waren die Zungen untergebracht. Die „Herbergen der Zungen“ waren die Orte der Italiener, Deutschen, Spanier oder Franzosen, die heute u.a. das Archäologische Museum (ehemals das Krankenhaus der Johanniter) beherbergen.
Dass der Großmeisterpalast für Benito Mussolini und gar nicht für die Großmeister gebaut wurde, hat Nicoletta nicht erzählt:
Der Palast der Festung misst 80 × 75 m. Diese Rekonstruktion war Teil des politisch motivierten monumentalen Bauprogramms des Faschismus auf Rhodos aus der Zeit der italienischen Besetzung von 1912 bis 1941. Italien übernahm Rhodos während des Italo-Türkischen Krieges von den Osmanen. Ein «Minderheitenaustausch» zwischen Griechenland und der Türkei blieb der Inselbevölkerung erspart. Rhodos und die übrigen Dodekanes-Inseln wurden im Vertrag von Ouchy an Italien abgetreten. Nur der Eingangsbereich des Großmeisterpalast des Johanniterordens mit seinen eindrucksvollen zwei Türmen stammt aus der Zeit der Kreuzritter. Der heute zu besichtigende Palast war einerseits die Residenz des italienischen Gouverneurs, aber auch als die Sommerresidenz des italienischen Königs und anschließend für Benito Mussolini vorgesehen. Beide nutzten ihn jedoch nicht.
Der historische Großmeisterpalast stammt aus dem 14. Jahrhundert. Dieses Gebäude war im 14. Jahrhundert als Residenz des Großmeisters gebaut, der sich an der Spitze des Ordens der Johanniter befand. Nachdem die türkischen Osmanen die Stadt im Jahr 1522 erobert hatten, erfüllte er die Funktionen eines Gefängnisses und Pulvermagazins. Eine Munitionsexplosion beschädigte den Palast 1856 umfangreich. Erst während der italienischen Herrschaft wurde er in seinen heutigen Zustand gebracht.
Deutsche Truppen auf Rhodos und der Umgang mit den jüdischen Einwohnern
1943 besetzten deutsche Truppen die Insel. Die Verwaltung blieb allerdings weiterhin in den Händen der Italiener. Die deutsche Wehrmacht errichtete an der östlichen Küste mehrere Bunker. Zwischen den Ortschaften Archangelos und Lindos sieht man noch einige Überreste eines Militärflugplatzes der Deutschen.
Umgang mit den jüdischen Einwohnern
Es gab eine jüdische Gemeinde auf Rhodos. Am 13. Juli 1944 wurde die Inhaftierung der Juden von Generalleutnant Ulrich Kleemann angeordnet. Der wichtigste Grund dafür waren Finanzprobleme. Die Versorgungslage in dem unter Generalmajor Otto Wagener eingerichtetem Straflager war extrem schlecht. Mehr noch litt die Zivilbevölkerung von Rhodos: „Die Verpflegungslage bei der Zivilbevölkerung ist katastrophal. [...] Nachdem seit Anfang Januar etwa 20 Personen pro Tag an Hunger starben, muss erwartet werden, dass diese Zahl im Laufe der Zeit auf 30 und höher steigt" (Lagebericht vom 11. Januar 1945, zit. n. Klausch, Die Geschichte der Bewährungsbataillone 999…, Köln 1987, Pahl-Rugenstein Verlag, Hochschulschriften 245, ISBN 3-7609-5245-3 S. 309). Da der Einkauf von Gütern für die deutsche Truppe schwierig war, wurden die Besitztümer der jüdischen Gemeinde nach Ansicht der Besatzer eine begehrenswerte Tauschware, welche sie vor einem möglichen finanziellen Notstand bewahren sollte. Standrechtliche Todesurteile wurden wegen kleinster Delikte gefällt. Nach einer Aufstellung des katholischen Divisionspfarrers über Beerdigungen und Exekutionen wurden in der Zeit vom Januar bis März 1945 elf deutsche Soldaten hingerichtet.
Die Vernichtung der Juden von Rhodos
Am 24. Juli 1944 begann der Deportation von Juden von Rhodos. Man brachte sie erst mit einem Schiff nach Piräus. Von dort wurden sie nach Auschwitz-Birkenau transportiert. Am 16. August 1944 kamen sie im Vernichtungslager an. 1.673 Menschen jüdischen Ursprungs waren Opfer der Deportation, während nur 54 Personen diesem Schicksal entgehen konnten. Dank des türkischen Konsuls Selahattin Ülkümen konnten 42 jüdische Staatsbürger der Türkei und eine Reihe ihrer Verwandten auf Rhodos verbleiben. Sie waren zwar in den folgenden Monaten harschen Repressionen ausgesetzt, konnten aber am 10. Januar 1945 die Insel Richtung Marmaris verlassen und sich in Sicherheit bringen.
„Obwohl das deutsche Militär bereits an allen Fronten auf dem Rückzug begriffen war, wurden noch Kapazitäten für diesen letzten Transport sephardischer Juden aus der Ägäis aufgebracht. Mit 24 Tagen Dauer und 1600 Kilometer Entfernung handelte es sich außerdem um einen der langwierigsten und weitesten Deportationswege in ein Vernichtungslager. Die Vernichtung der Juden von Rhodos repräsentiert in nahezu paradigmatischer Weise die grausame Unnachgiebigkeit der Bürokratie, die an der Massenvernichtung wider alle Logik weiterhin festhielt.“
Aron Rodrigue: Rhodos, in: Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur, hg. von Dan Diner im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Band 5: Pr-Sy. Metzler 2014, S. 218
Ein Bespiel für die Grausamkeit der deutschen Besatzer
Ein Beispiel für das Verhalten der deutschen Besatzer ist eine alte Seidenfabrik ganz im Süden von Rhodos, in der unmittelbarer Nähe des kleinen, traditionellen Dorfes Kattavia, etwa 84 km von der Hauptstadt entfernt. Die Fabrik war ein Teil der Siedlungspolitik und Industrialisierung der Insel durch die damaligen Italienischen Besatzer. Jetzt gibt es nur noch Überreste des zugewachsenen Gebäudes, die ehemalige Arbeitsstruktur kann man nur noch erahnen. Die Deutsche Wehrmacht auf Rhodos wandelte die Fabrik in ein Militärgefängnis und Konzentrationslager um. Generalmajor Otto Wagener erließ folgende Regeln für die Gefangenen . Wer ihnen nicht folgte, wurde erschossen.
- Wer länger als drei Minuten auf der Toilette verbrachte.
- Wer während der halben Stunde Freigang aus den Zellen mit anderen Mithäftlingen sprach.
- Wer versucht in der Zelle mit Klopfzeichen auf sich aufmerksam zu machen und so mit anderen Häftlingen kommuniziert..
- Wer eine Krankheit simuliert..
- Wer die Verfehlungen anderer Häftlinge nicht meldet..
Am 24. April 1945 flohen fünf Häftlinge. Zwei von ihnen kamen nicht einmal aus der Sichtweite des Gefängnisses und wurden gleich vor allen Mithäftlingen erschossen . Zwei weitere wurden von einer Patrollie aufgegriffen werden und sofort erschossen, über den fünften Flüchtigen weiß man nichts. Am Folgetag fand im Gefängnis für alle Gefangenen ein Appell statt, bei dem verkündet wurde, dass wegen der Flucht der Fünf fünfzehn Mitgefangene erschossen werden sollten, drei für jeden Flüchtling. Alle Mitgefangenen mussten diejenigen benennen, die exekutiert werden sollten. Als Akt der Gnade erklärte der Kommandierende des Lagers, dass nur 11 Gefangene erschossen werden sollten.
Nach der Befreiung durch britische Soldaten wurde die Lagerkommandanten im Januar 1947 der italienischen Justiz übergeben und am 16. Oktober 1948 verurteilt. Otto Wagener bekam 15 Jahre Gefängnis, Herbert Niklas 10 Jahre und Walter Mai 12 Jahre Gefängnis.
Die Rentner sind inzwischen wieder in Deutschland auf der Suche nach neuen Kreuzfahrtschnäppchen im Mittelmeer. Drei haben die Tage nach dem Rhodosausflug wegen kleiner Stürze im Krankenhaus verbracht, aber sie hatten ja eine Reisekranken- versicherung! ALLES GUT! Nicoletta hat in den Wintermonaten frei. Sie ist froh, nicht immer darauf achten zu müssen, dass keiner verloren geht, etwas vergisst oder stürzt.
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